Nahrungsverweigerung und Zwangsernährung
Geschrieben von Elke Bachstein am 18. Oktober 2018
Kategorien: Intensivpflege, Palliativpflege
Was kann und was darf man machen? Wenn Menschen nicht mehr essen möchten, ist das vor allem für Angehörige, aber auch für Pflegekräfte und Ärzte eine schwierige Situation – was ist zu tun? Kann man überhaupt etwas tun bzw. was darf man denn machen? Gesundheits- und Krankenpflegerin und Juristin Elke Bachstein geht in ihrem Beitrag auf die rechtlichen Grenzen des Machbaren und des Nötigen ein.
Weiterführende Informationen
Was fällt rechtlich unter Nahrungsverweigerung?
Von einer Nahrungsverweigerung ist auszugehen, wenn Patienten es ablehnen, Essen zu sich zu nehmen bzw. angereichte Speisen zurückweisen.
In solchen Situationen stellt sich dann die Frage, ob sie auch gegen ihren Willen und notfalls unter Anwendung von physischem Zwang ernährt werden dürfen.
Zu unterscheiden sind folgende Fallkonstellationen:
- Der Patient ist einwilligungsfähig und lehnt die Maßnahmen ab
- Der Patient ist einwilligungsunfähig, es liegt jedoch eine Patientenverfügung vor, die auf die konkrete Situation zutrifft
- Der Patient ist einwilligungsunfähig (keine Patientenverfügung), zeigt aber durch körperliche Abwehr, dass er mit den Handlungen nicht einverstanden ist
1. Einwilligungsfähigkeit liegt vor
Jeder ärztliche Heileingriff, aber auch jede pflegerische Maßnahme am Patienten bedarf der Einwilligung des einwilligungsfähigen Menschen.
Eine wirksame Einwilligung kann nur erteilt werden, wenn die nötige Einsichtsfähigkeit des Patienten vorliegt, d. h. die betroffene Person in der Lage ist, das Für und Wider eines Eingriffs bzw. auch die Konsequenz bei einer Unterlassung zu erkennen.
Würde gegen den erklärten Willen eines Menschen eine Maßnahme erfolgen, so würde das den Tatbestand einer vorsätzlichen Körperverletzung gem. § 223 StGB erfüllen und auch gegen § 630 d BGB verstoßen.
Eine in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts begründete Nahrungsverweigerung ist für die handelnden Ärzte und Pflegekräfte bindend, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass unter Umständen schwere Schädigungen oder gar der Tod des Betroffenen eintreten kann (RDG 2005, 2(5) S.119-120).
Dies wurde bereits in der Entscheidung des BGH zur Einstellung der künstlichen Ernährung BGH vom 8.6.2005 – XII ZR 177/03 eindeutig festgestellt.
2. Einwilligungsfähigkeit ist nicht gegeben, aber die Patientenverfügung liegt vor
Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper kann sich auch auf eine Zeit beziehen, in der es dem Menschen nicht mehr möglich ist, eigene Entscheidungen auszudrücken. Für diese Situationen ist es sinnvoll, Wünsche und Anordnungen in einer Patientenverfügung niederzulegen (Bachstein, Elke: Aufklärungspflicht in Thiemes Endoskopieassistenz (Hrsg: Gottschalk et al.; Thieme Verlag, Stuttgart 2009, S. 318-324)).
3. Es liegt keine Patientenverfügung vor und der Patient ist einwilligungsunfähig
Dieser Fall betrifft Patienten mit fortgeschrittener Demenzerkrankung oder Patienten im Finalstadium des Sterbeprozesses, die die angebotene Nahrung verweigern und die sich bis auf Abwehrbewegungen nicht mehr artikulieren können.
Handlungen wie das Herausziehen einer Magensonde oder das Wegdrehen des Kopfes bei der Essensgabe sind als ablehnende Willensäußerungen zu verstehen.
Hier ist hohe pflegerische Kunst gefragt, um die Betroffenen zum Essen zu animieren. Gelingt dies nicht, ist unter Umständen eine Ernährung mittels PEG oder anderer künstlicher Möglichkeiten zu erwägen.
Aber wann darf man das rechtlich tatsächlich machen?
Zwangsbehandlung/-ernährung im Betreuungsrecht
Die Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist nach § 1906 a Abs. 1 BGB nur unter folgenden engen Voraussetzungen und nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts möglich:
Widerspricht eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 Nummer 2 dem natürlichen Willen des Betreuten (ärztliche Zwangsmaßnahme), so kann der Betreuer in sie nur einwilligen, wenn
- der Betreute auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann,
- zuvor versucht wurde, den Betreuten von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen,
- die ärztliche Zwangsmaßnahme im Rahmen der Unterbringung nach Absatz 1 zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden abzuwenden, der erhebliche gesundheitliche Schaden durch keine andere dem Betreuten zumutbare Maßnahme abgewendet werden kann und
- der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen deutlich überwiegt.
(Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 22. 6. 2017)
Elke Bachstein ist Gesundheits- und Krankenpflegerin, PDL Management, Juristin, AAL-Beraterin und Heilpraktikerin. Darüber hinaus doziert und referiert sie auf diversen Kongressen sowie an Hochschulen und Fachschulen. Außerdem ist sie im Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe DBfK tätig. Über Pflege und Recht hat sie bereits mehrere Publikationen verfasst, darunter das Altenpflege Titelthema: Nahrungsverweigerung. Der Wille entscheidet, in: Altenpflege 3/16 S. 25-28.