Palliativmedizin – Gute Versorgung braucht nicht nur Zeit
Geschrieben von Johannes Schleicher am 13. April 2021
Kategorie: Palliativpflege
Frau Stein ist Fachärztin für Innere Medizin mit Zusatzbezeichnung Palliativmedizin. Und palliativmedizinisch ist sie auch bei uns tätig: Als leitende Ärztin in unserem Ärzteteam für die Bewohner im Hospiz und die Menschen, die unsere SAPV (also unsere Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung) betreut.
Wir haben mit ihr darüber gesprochen, vor welchen Herausforderungen Palliativmedizin und Palliativpflege stehen, wie die Situation in Brandenburg an der Havel ist und wie sie persönlich in die Palliativmedizin gelangt ist.
Die palliative Betreuung - ganzheitliche Fürsorge
Palliativpatienten – also Menschen mit einer weit fortgeschrittenen, unheilbaren Krankheit – benötigen eine ganzheitliche, intensive Hinwendung.
Denn palliative Versorgung besteht zwar auch darin, Symptome zu bekämpfen und Schmerzen zu lindern. Mindestens ebenso wichtig sind in dieser schwierigen Zeit jedoch die Seelsorge, das familiäre Umfeld und die Biographie. Es gibt sehr viele und auch sehr unterschiedliche psychische Belastungen am Lebensende, erklärt Dagmar Stein.
Neben Abschiedsschmerzen und Ängsten vor dem, was kommt, sind da auch konkrete Sorgen um die Hinterbliebenen: "Ist meine Tochter, mein Sohn gut versorgt? Was passiert jetzt mit meiner Frau?"
Und all diesen Nöten, Ängsten, Sorgen muss man fürsorglich und kompetent begegnen. Dafür muss man sich einem Menschen ganz widmen, man muss die Zeit dafür haben, ihm zuzuhören, seine individuellen Probleme kennen zu lernen. Und man muss auch die Zeit dafür haben, diesen Problemen in Gesprächen zu begegnen.
Zeit ist ein überaus zentraler Faktor in der palliativen Versorgung.
Derzeit ist die Situation in Brandenburg an der Havel in dieser Hinsicht herausfordernd. Das hat viele Gründe: zum Beispiel die Pandemie mit den notwendigen Folgemaßnahmen, aber auch Patientenzahlen und Personalmangel.
Glücklicherweise wurde nach der Schließung der Palliativstation in Kloster Lehnin nun im Klinikum Brandenburg eine Palliativstation mit ähnlicher Besetzung eröffnet. Die Aufnahme auf einer solchen Station ist wichtig, wenn Probleme auftauchen, die im häuslichen Umfeld nicht zu lösen sind. Auf einer solchen Station kann jenseits des Akutbetriebs auf alle Probleme umfassend eingegangen werden.
Deshalb ist eine solche Station notwendig, obwohl das Palliativärztinnenteam eine 24-Stunden-Rufbereitschaft hat, um wirklich immer da zu sein, wenn es gebraucht wird.
Eine gute ambulante Palliativmedizin schließt natürlich die psychoonkologische Begleitung ein (die Psychoonkologie ist die psychologische Betreuung von Krebspatienten). Frau Manuela Lindner, die auch die auch die Organisation der ehrenamtlichen Begleitung innehat, kümmert sich um die psychoonkologische Begleitung im Team. Auch Frau Stein hat diese eine Zusatzqualifikation für diese Form der Begleitung.
Gute Pflege ist Teamwork
Man kann sich darüber hinaus auch leicht vorstellen, dass es ein eingespieltes Team braucht, um den Patienten diese Betreuung anbieten zu können. "Ganzheitlichkeit" sagt sich so einfach, erfordert aber ein hohes Maß an interdisziplinärer Arbeit.
Aber dieses Team, sagt Frau Stein, haben wir in Brandenburg an der Havel: sowohl das Palliativteam der Jedermann Gruppe – im Hospiz und ambulant – als auch das der Hand in Hand GmbH ist verlässlich und kompetent und die Zusammenarbeit funktioniert wirklich reibungslos.
Auch die Arbeit mit den Ehrenamtlern der Hospizbewegung Brandenburg ist in der Regel super, sie unterstützen die Betroffenen im privaten sehr. Diese Form der Betreuung war wegen der Pandemie allerdings für längere Zeit nur noch sehr eingeschränkt möglich, da viele ehrenamtliche Hospizhelfer selbst zur Risikogruppe gehören und dementsprechend vorsichtig sein müssen. Mittlerweile ist aber eine zunehmende Entlastung durch Impfungen und Tests spürbar.
Was sagen die Patienten zur Versorgung?
Das Feedback ist zum überwiegenden Teil sehr positiv, sagt Dagmar Stein. Und das ist beachtlich, wenn man bedenkt, dass die Palliativpflege samt und sonders in absoluten Ausnahmesituationen in das Leben der Menschen kommt – wenn man angespannt ist, Ruhe braucht, sich von fremden Menschen vielleicht nicht so viel sagen lassen will, sich lieber auf sich, auf die Angehörigen konzentrieren möchte. Da kann einem leicht alles zu viel werden.
Aber auch hier kann Palliativmedizin und Palliativpflege ansetzen. Nicht zuletzt kommt man sich natürlich auch menschlich sehr nahe, erklärt Frau Stein. Das Verhältnis zwischen Pflegeteam, Familie und Betroffenem ist – so kurz es manchmal auch sein mag – sehr eng.
Abgesehen davon ist natürlich auch die gegenseitige Unterstützung im Team ist eine wesentliche Stütze in der täglichen Arbeit.
Der persönliche Weg in die Palliativmedizin
Deshalb ist Dagmar Stein letzten Endes auch in die Palliativmedizin gekommen. Während ihrer Facharztausbildung kam es ihr gelegentlich so vor, als stünde die Aufmerksamkeit und Zuwendung für sterbende Menschen im Akutbereich hinten an.
Gerade deswegen war Frau Stein der Meinung, dass man dort ansetzen müsse, dass Sterbende eine intensivere und andere Betreuung benötigen, um ihre Sorgen und Nöte wahrzunehmen, um Beistand zu leisten, um Beschwerden zu lindern.
Deshalb ist sie auch froh, dass die Palliativmedizin mittlerweile eine etablierte Disziplin ist und jeder Mensch ein Recht auf eine ambulante Palliativversorgung hat.