Therapiezieländerung – Wann fängt Palliativpflege an?
Geschrieben von Johannes Schleicher am 12. August 2019
Kategorie: Palliativpflege
Palliativpflege ist die Pflege am Lebensende eines schwer erkrankten Menschen. Die Palliativpflege setzt ihren Schwerpunkt auf Lebensqualität, Teilhabe und Selbstbestimmung ihrer Patienten; sie versucht nicht mehr, den Menschen zu heilen.
Weiterführende Informationen
- Palliativpflege bei Menschen mit Demenz
- Hin zum Anderen – Kommunikation mit Sterbenden
- Palliativpflege der Jedermann Gruppe – von Anfang an mit dabei
Aber wann hört man damit auf, heilen zu wollen? Wer hat ein Mitspracherecht? Gibt es eine klare Grenze oder ist der Übergang fließend? Und schließen die beiden Pflegekonzepte einander aus?
Welches Therapieziel wird in der Palliativpflege angestrebt?
Eine kurative Pflege hat ihren Schwerpunkt in der Heilung des Patienten. Das Ziel der Palliativpflege hingegen ist eben "palliativ" – das heißt, dass eine Heilung nicht mehr angestrebt wird, sondern das Wohlergehen des Patienten im Fokus steht.
"Palliativ" stammt vom lateinischen "palliare", was soviel wie ummanteln bedeutet. Damit wird der schützende Charakter dieser Pflegeform deutlich gemacht.
Sie behandelt die folgenden Aspekte:
- Lebensqualität schaffen
- größtmögliche Teilhabe am Leben gewährleisten
- Selbstbestimmung des Patienten erhalten
- Krankheitssymptome kontrollieren
- Schmerzen lindern
Hinzu kommen selbstverständlich die Maßnahmen der Basisbetreuung, also Körperpflege, Ernährung, menschliche Zuwendung etc.
Wann wird das Therapieziel geändert?
Wann ändert man jedoch das Therapieziel, geht also von einer kurativen in eine palliative Pflege über? Die Antwort ist nicht so einfach.
Tatsächlich verfolgt kurative Pflege auch immer palliative Ziele. Bei einer Therapiezieländerung steht also vor allem die Frage im Vordergrund, ob man die Pflege weiter kurativ betreibt oder nicht.
Diese Entscheidung richtet sich nach zwei Aspekten:
- Indikation
- Patientenwille
Indikation
Bei der medizinischen Indikation handelt es sich um eine fachliche Einschätzung, dass Therapiemaßnahmen zur Heilung des Patienten geeignet sind. Ein bestimmtes Therapieziel soll durch gewisse Maßnahmen mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit erreicht werden können.
Die Therapiemaßnahmen, die allgemein zur Verfügung stehen, werden für den konkreten Patienten erwogen. Dabei gibt es vier Abstufungen. Therapiemaßnahmen können:
- indiziert,
- zweifelhaft
- nichtindiziert
- oder kontraindiziert sein.
Nur, wenn die Maßnahmen indiziert sind, werden sie dem Patienten angeboten. Sind sie zweifelhaft, werden sie offen und kritisch mit dem Patienten besprochen. Nicht indizierte und kontraindizierte Maßnahmen dürfen Patienten nicht vorgeschlagen werden.
Gibt es keine indizierten oder zweifelhaften Maßnahmen, die möglich sind, so wird eine Therapiezieländerung (zur palliativen Pflege) eingeleitet.
Doch auch wenn es noch indizierte oder zweifelhafte Maßnahmen zur Heilung des Patienten gibt, besteht immer noch dessen persönlicher Wunsch als zweites Kriterium einer Einleitung der Palliativpflege.
Patientenwille
Ein Mensch darf selbst entscheiden, ob er die ihm angebotenen Maßnahmen annimmt oder ablehnt. Wünscht sich ein Patient, keine kurative Pflege mehr zu erhalten, ändert sich das Therapieziel ebenfalls hin zu einer palliativen Pflege.
Natürlich muss der Patient im Vorfeld ausführlich über die Optionen aufgeklärt werden, die ihm offenstehen, die Entscheidungsfindung darf dabei jedoch nicht beeinflusst werden.
Das gilt natürlich nur für den Fall, dass der Patient auch einwilligungsfähig ist, das heißt, dass er keine kognitiven Einschränkungen aufweist und seine Meinung auch äußern kann. Ist das nicht der Fall, kommen seine gesetzlichen Vertreter ins Spiel.
Soweit bieten sich definitorisch an sich keine großen Schwierigkeiten. Man sagt dem Patienten, was möglich ist, und dieser entscheidet darüber, ob er das auch will. Will er keine kurativen Maßnahmen, wird die Palliativpflege eingeleitet.
Komplexer wird es jedoch etwa, wenn der Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist.
Was geschieht, wenn der Patient nicht mehr einwilligungsfähig ist?
Einwilligungsfähig, was den medizinischen Bereich angeht, ist man, wenn man "Art, Bedeutung und Tragweite (Risiken) der ärztlichen Maßnahme erfassen kann." (BGH, Urteil vom 28.11.1957).
(Selbstverständlich muss der Patient darüber hinaus auch in der Lage sein, seinen Willen zu äußern)
Ist er nicht mehr einwillgungsfähig – etwa, weil er kognitiv eingeschränkt ist – greift die rechtliche Vorsorge, die er bestenfalls getroffen hat: Die Patientenverfügung.
Hat ein nicht einwilligungsfähiger Patient keine Patientenverfügung, werden die rechtlichen Stellvertreter des Patienten hinzugezogen, also Bevollmächtigte und Betreuer.
Sind solche Personen nicht vorhanden, muss eine Betreuung beantragt werden.
Letztendlich ist man in diesen Fällen jedoch verpflichtet, den Willen des Patienten zu deuten, demgemäß man die Entscheidung treffen muss, ob eine kurative Pflege durch eine palliative Pflege abgelöst werden soll. Und das gilt sowohl für Betreuer und Bevollmächtigte als auch für das Behandlungsteam.
Schließen Palliativpflege und kurative Pflege sich aus?
Die Antwort ist ein klares Nein. Es wurde bereits weiter oben erwähnt, dass kurative Pflege auch immer palliative Konzepte mit einbezieht.
Die Schwerpunkte der Palliativpflege sind Lebensqualität, Selbstbestimmung, Teilhabe und die Linderung von Symptomen und Schmerzen. Diese Schwerpunkte hat die kurative Pflege – neben dem Aspekt der Heilung – jedoch ebenso sehr.
In der Praxis gestaltet es sich nur so, dass die Kassen für die Palliativpflege mehr Geld aufbringen als für die kurative Pflege, weshalb mehr Personal und damit auch mehr Zeit für die Patienten zur Verfügung steht.
Das heißt aber nicht, dass nicht auch die kurative Pflege schon alles tun würde, um das Wohlergehen ihrer Patienten, um das es letztendlich geht, bestmöglich zu sicherzustellen.